DER GEHEIMNISVOLLE FLUSS
Mit großen Schritten wandere ich durch die verlassene südafrikanische Buschlandschaft. Das Land ist trocken und der Staub glänzt in der heißen Mittagssonne. An heißen Tagen wie heute stöhnt die Erde besonders – schon lange hat es nicht mehr geregnet. Die Dürreperiode raubt dem Boden jede Lebendigkeit. Ich stehe in einem Tal, inmitten trostloser kleiner Bäume, die nicht mehr als wenige Meter in den Himmel ragen – sie haben ihre Seelen verloren. Die tief hängenden Äste der schlaffen Bäume kreuzen sich miteinander und das hölzerne Gestrüpp versperrt mir den Weg.
KEINE BLÜTEN, KEINE BLÄTTER, KEINE FARBEN
Ganz tief bücken muss ich mich, um mit meinem großen Rucksack Stück für Stück voranzukommen. Wenigstens spenden die geistlosen Lebewesen etwas Schatten. Ich knie auf dem Boden, halte still und lausche. Es raschelt, knistert und summt. Der Klang unzähliger Insekten bohrt sich in meinen Ohren fest. Ich habe einen Tinnitus – sie sind überall. Und, es stimmt, Spinnen können fliegen. Katapultartig jagen die daumengroßen Kamikazepiloten durch die warme Luft. Es ist ein faszinierendes Spektakel der Aerodynamik – eine Flugshow, die ich vorher so noch nie beobachten konnte. Wohin ich jetzt auch gerade schaue, wimmelt es vor Leben. Die winzigen Bewohner der Buschlandschaft mögen die heiße Sonne, während ich den glühenden Stern über mir geradezu verfluche. Plötzlich sehe ich durch die vielen kahlen Äste, nur wenige Schritte vor mir, Wasser – es ist ein kleiner schmaler Fluss. Aufgeregt schiebe ich mich weiter, vorwärts durch das Dickicht, bis ich am Ufer stehe. Hier ist tatsächlich eine kleine Oase aus satten Farben, die irgendwo in den Bergen entspringt.
EIN SAFTIGER GEHEIMNISVOLLER DSCHUNGEL
Viele kleine abgerundete Steine liegen im Wasser und am Uferrand wachsen grüne verzweigte Büsche, die bis in den Fluss hineinragen – sie trinken das kostbare Lebenselixier. Der Himmel und die Berge, die das Tal umschließen, spiegeln sich auf der sanften Wasseroberfläche. Ganz mystisch, wie in einer Märchenwelt, sieht es hier aus. Aus der trockenen Buschlandschaft wurde ein saftiger geheimnisvoller Dschungel. Sofort ziehe ich Schuhe und Socken aus und tauche mit meinen nackten Beinen in das Gewässer ein. Das eiskalte, kristallklare Wasser wickelt sich um meine Füße. Es ist ein überwältigendes Gefühl. Ich fühle mich frisch und genieße meinen Moment in dieser riesigen Wildniswelt der südafrikanischen Drakensberge. Es riecht nach nass, der Fluss plätschert und die Pflanzen, welche ich nie zuvor gesehen habe, strahlen im warmen Sonnenlicht. Dieser Ort hat seine Lebendigkeit noch nicht verloren und strotzt vor Energie. Ich laufe jetzt hier weiter – gegen den Strom, flussaufwärts.
EINE WEITERE DIMENSION DER WILDNIS
Langsam setze ich ein Bein vor das andere und manövriere mich akrobatisch durch die glitschigen Steine. Von Wandern ist nun keine Rede mehr. Hochkonzentriert wate ich jetzt durch den einsamen Fluss. Um auch über die großen Steine klettern zu können, suche ich mir irgendwo einen langen Stock, an dem ich mein Körpergewicht abstützen und mich hochhieven kann. Das Wasser ist auf Grund der Trockenheit nicht tief und eigentlich komme ich auch gut voran, aber die kleinen Steine, die sich in meine nackten Füße bohren, schmerzen fürchterlich und zwingen mich immer wieder kurze Pausen einzulegen. Ich mache Rast an einer der zauberhaften Lagunen, welche sich entlang der zahlreichen großen Felsbrocken eindrucksvoll emporheben.
Verborgen im Schatten der Sonne, schwimme ich nackt durch die geheimnisvollen Flussbecken. In diesem Moment habe ich das Gefühl in eine weitere Dimension der Wildnis eingetaucht zu sein. Wildnis ja – nur noch viel wilder. Meine Augen sind nur wenige Zentimeter über der Wasseroberfläche und alles um mich herum, die Berge, die Büsche und die Felsen, ragt über mir. Eine neue unheimliche Perspektive, aus der ich die Welt gerade entdecken darf. Wieso habe ich so etwas nicht schon früher gemacht? So nah wie jetzt war ich der Natur nie zuvor.
Weit weg von allem bin ich hier alleine im Busch, der für wildes Leben steht, unterwegs. Eine für mich fremde Welt, voller Farben, Leben und Überraschungen. Das Wasser umarmt mich, ich tauche ab und lasse mich weiter treiben. Tief unter mir ist es so schwarz, dass ich den Boden nicht erkennen kann – ganz schön unheimlich. Nach einer Weile schmerzt meine Kehle – das Wasser ist brutal kalt. Raus hier – auf einem winzigen Flussbett lasse ich mich trocknen. Ich schaue mich um. Das ist der perfekte Ort für eine erholsame Nacht. Schnell hole ich meinen Rucksack und baue mein Zelt auf, während die Sonne hinterm Horizon versinkt.
ICH FANGE AN ZU TRÄUMEN
Ich kann kaum noch atmen, so magisch ist dieser Moment. Ich blicke in den Himmel, sehe die Berge, genieße die warme Brise, das Licht und das Plätschern des Wassers. Hier wohnt die Wildnis, die mich so sehr in ihren Bann zieht – schön wieder bei ihr zu sein. Sie lässt mein Herz so stark leuchten, dass man mein Licht noch weit aus dem Himmel erkennen kann. Der eine Mensch, der mich von dort oben gerade sieht, sieht einen glücklichen Mann. Du bist so weit weg. Ich hebe meine Hand, will dich nach unten ziehen, um dir die Geschichten zu erzählen, die du immer von mir hören wolltest. Siehst du auch gerade denselben Sonnenuntergang wie ich? Jetzt fange ich an zu träumen und spüre, dass ich müde werde. Die Nacht ist gekommen.
DIE PERFEKTE LEINWAND
Ich öffne mein Zelt, während plötzlich ein hektischer Schrei durch die Dunkelheit irrt – Schrecksekunde. Auf meiner Hand sitzt eine riesige Kröte. Ungefähr 20 bis 30 Zentimeter ist sie groß. Völlig entsetzt stehe ich regungslos in der Nacht. Das grüne schleimige Ding ist gigantisch – überdimensional groß. Es springt weiter auf mein Zelt und klebt jetzt am Moskitonetz. Mit der Taschenlampe strahle ich die Kröte an und inspiziere sie. In Südafrika sind die Tiere ein bisschen größer als zuhause. Langsam hüpft sie lautlos das Flussbett hinab. Ich leuchte ihr hinterher und sehe im Augenwinkel unzählige winzig Reflexionen. Dicht aneinandergedrängt verstecken sich die kleinen Kamikazepiloten in den Steinen und verbringen hier die Nacht. Die Spinnenaugen leuchten im Licht wie winzige weiße Sterne. Ich möchte die kleinen Lebewesen nicht weiter stören, schalte das Licht aus und setze mich in mein Zelt. Von hier aus beobachte ich das Firmament und lausche den Affen, Insekten, Schlangen, Kröten und Stachelschweinen.
Diese Kulisse in dieser grenzenlosen Natur ist die perfekte Leinwand für einen Naturblockbuster. Nur die dünne Zeltwand trennt mich vom wilden Leben hier draußen. Ich schließe meine Augen, versinke im geheimnisvollen Rascheln und Knistern der Wildnis, und nach einer Weile fängt es endlich an zu regnen – die Erde atmet auf.